Aufklärung und Einwilligung

Vor der Behandlung sind Patient*innen aufzuklären und müssen in die Behandlung einwilligen. Grundsätzlich werden minderjährige Patient*innen bis zum 14. Lebensjahr auch in diesen Angelegenheiten durch die Sorgeberechtigten vertreten. Bei Minderjährigen gilt es aber, zusätzlich die individuell zu beurteilende Einsichtsfähigkeit abzuklären.  Im Gegensatz zu den zivilrechtlichen Vorgaben des BGB finden sich im Berufsrecht teilweise ausführliche Regelungen zur Behandlung Minderjähriger und den Voraussetzungen zur Aufklärung und Einwilligung:

§ 12 Berufsordnung der Psychotherapeut*innen
(3) 1Einwilligungsfähig in eine psychotherapeutische Behandlung sind Minderjährige nur dann, wenn sie über die behandlungsbezogene natürliche Einsichtsfähigkeit verfügen. 2Verfügt die Patientin oder der Patient nicht über diese Einsichtsfähigkeit, sind Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verpflichtet, sich der Einwilligung des oder der Sorgeberechtigten zu der Behandlung zu vergewissern.

Der Bundesgerichtshof beurteilt die behandlungsbezogene natürliche Einsichtsfähigkeit daran, „ob der/die Minderjährige nach seiner/ihrer geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestaltung zu ermessen vermag“.

Ab dem 14. Lebensjahr ist bei Patient*innen nach allgemeiner Auffassung und einschlägigen Urteilen von der sog. Einsichtsfähigkeit auszugehen, aus der sich u.a. die Einwilligungsfähigkeit in psychotherapeutische und ärztliche Behandlungen ergibt. Bei jüngeren Patient*innen kann jedoch in begründeten Einzelfällen ebenfalls von Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden, ebenso wie auch Patient*innen, die älter als 14 Jahre alt sind, in begründeten Einzelfällen als nicht einsichtsfähig beurteilt werden können.

Die Beurteilung der Einsichtsfähigkeit ist in jedem Einzelfall individuell vorzunehmen und insbesondere im psychotherapeutischen Bereich gut zu dokumentieren! Die Argumente für die Annahme der Einsichtsfähigkeit schriftlich niederzulegen, ist besonders in den Fällen wichtig, in denen nicht aufgrund des Lebensalters von Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden kann.

Folgende (entwicklungspsychologische) Kriterien zur Beurteilung der Einsichtsfähigkeit können herangezogen werden:

Der/ die Patient*in

  • verfügt über die Fähigkeit, einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen (Verständnis)
  • besitzt die Fähigkeit, bestimmte Informationen auch bzgl. der Folgen und Risiken, in angemessener Weise zu verarbeiten (Verarbeitung)
  • besitzt die Fähigkeit, die Informationen, auch im Hinblick auf die Behandlungsalternativen, angemessen zu bewerten (Bewertung)
  • besitzt die Fähigkeit, den eigenen Willen auf der Grundlage von Verständnis, Verarbeitung und Bewertung der Situation zu bestimmen (Bestimmbarkeit des Willens)

Beispiele hierfür sind: eigenständige Lebensgestaltung, klare Äußerungen der eigenen Wünsche und Bedürfnisse, Verständnis über den Ablauf der Therapie, deren Ziel/e und mögliche Risiken.

Aufklärung und Einwilligung in die Behandlung bei fehlender Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit

Soweit Minderjährige nicht über die Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit verfügen, muss die Aufklärung grundsätzlich gegenüber allen Sorgeberechtigten erfolgen und diese haben auch alle in die Behandlung einzuwilligen, da sie gemäß §§ 1626, 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB den/die Minderjährige*n grundsätzlich gemeinschaftlich vertreten.

Bei leichten und routinemäßig durchzuführenden Eingriffen dürfen Behandler*innen nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die erscheinende sorgeberechtigte Person die jeweils andere vertritt.

Bei Eingriffen mittlerer Art müssen Behandler*innen sich aktiv bei der erscheinenden sorgeberechtigten Person erkundigen, ob diese auch in Vertretung der abwesenden sorgeberechtigten Person handelt.

Bei risikoreichen Eingriffen müssen Behandler*innen sich persönlich bei allen Sorgeberechtigten erkundigen, ob sie mit der Durchführung der Heilbehandlung einverstanden sind.

Bei dauerhaft getrenntlebenden Sorgeberechtigten gilt gemäß § 1687 Abs. 1 BGB, dass bei Entscheidungen in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung ebenfalls ein gegenseitiges Einvernehmen erforderlich ist. Alle anderen Entscheidungen (sog. Entscheidungen des täglichen Lebens) kann die sorgeberechtigte Person, bei der sich der/die Minderjährige gewöhnlich aufhält, treffen.

WICHTIG: Bei psychotherapeutischen Behandlungen handelt es sich stets um Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung! Es bedarf IMMER der Aufklärung und Einwilligung aller Sorgeberechtigen, wenn es sich um nicht-einsichtsfähige Minderjährige handelt!

Weitere Hürden entstehen, wenn eine sorgeberechtigte Person nicht reagiert/die Zustimmung nicht erteilt. Wenn sich die Sorgeberechtigten von Minderjährigen nicht auf eine gemeinsame Einwilligung zur Behandlung verständigen können, kann das Familiengericht die Entscheidung auf eine*n Sorgeberechtigte*n übertragen. In dringenden Fällen kann das Familiengericht eine einstweilige Anordnung erlassen.